grundloses überfließen
„der ariadnefaden der schönheit scheint beinahe verloren. doch wir können uns nicht wirklich abnabeln: das schöne ist es, das uns atmen heißt.
schön. was sich ereignet. pure, eigentliche zeit. nichts weiter als JETZT.“ 1
die schönheit von zogmayers werk insgesamt und besonders die verschiedenen das wort „schön“ präsentierenden werke weisen auf die verborgene ubiquität der schönheit, die das geheimnis des seins an jeder straßenecke ausplaudert. 2 diese seinshafte schönheit gründet in jener dimension der wirklichkeit, die in den schon behandelten stichworten wie „feier des nichts“, „jetzt“ und „nondualität von profan und sakral“ angesprochen wurde. jenseits von erhabener heiligkeit und banaler profanität öffnet das achten auf die unaufdringliche, stille gegenwart für die erfahrung des erscheinens und anwesens aus dem freigebenden nichts, das alles trägt. schön ist von dort her betrachtet das erscheinen aus dem unergründlichen und dessen sichmitteilen mitten im erscheinen.
„die schönheit […] ist zunächst eben eine weise des anwesens [..], also weder eine eigenschaft bzw. ein eigenschaftskomplex neben und unter anderen, die irgendein etwas mehr oder weniger besitzt, noch eine wirkung, die es ausübt. das sein und wesen des schönen ist so zunächst nicht substantivisch (nominal), sondern zeitwörtlich (verbal) zu verstehen, eben im sinne des anwesens, d.h. es beruht im erscheinen und scheinen, im aufgehen und sichereignen dessen, was im grunde ist.“ 3
schön ist etwas nicht, weil es mir gefällt, sondern in seinem sich-ereignen, an dem ich partizipieren darf. geht das wohlgefallen hinaus über den bloßen genuss dessen, was lust bereitet, dann gilt es dem, was in sich schön ist und die eigensüchtigen interessen vergessen läßt. die erfahrung des schönen bedeutet eine befreiung aus der selbstbezogenheit. buddhistisch gesprochen findet ein erwachen aus dem kreislauf von gier, hass und verblendung statt, oder wenigstens eine heilsame unterbrechung seines zirkulierens. der innere glanz der schönheit teilt uns mit, dass es nicht mehr auf unsere selbstbehauptung ankommt, wo sein qua schönsein sich grundlos überfließend ereignet. das schöne motiviert alle, die es erfahren, dazu, sich selbst angesichts seiner und um seiner willen zurückzunehmen.
„nicht meine seligkeit ist wichtig. das sein des schönen scheint in ihm selbst. dieses scheinen ist seine seligkeit. gewiss, die schöne lampe war ein werk von menschen, für menschen gemacht. aber unsere seligkeit beim machen oder anschauen ist eben teilhabe an ihrer seligkeit.“ 4
„schön“ wäre also ein name für die freude zeitlichen seins: entströmende ewigkeit in ihm.
keine besondere sache daraus zu machen, sondern dieses scheinen als alltagslicht zu verstehen: leo zogmayers kunst lädt dazu ein.
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1 leo zogmayer, unveröffentlichtes manuskript zum schönen.
2 nach hans urs von balthasar: theologik, erster band: die wahrheit der welt, einsiedeln 1985, 255: „so ist sie in ihrer preisgegebenheit die reine wehrlosigkeit, und doch ist niemand so sehr wie die schönheit durch sich selber geschützt. sie plaudert das geheimnis des seins an jeder straßenecke aus, aber nur der versteht es, der den sinn dafür im gemüte hat.“
3 augustinus k. wucherer-huldenfeld: sein und wesen des schönen, in: ders.: ursprüngliche erfahrung und personales sein. ausgewählte philosophische studien II, wien 1997, 447-462: 448-449.
4 carl friedrich von weizsäcker: das schöne, in: ders.: der garten des menschlichen. beiträge zur geschichtlichen anthropologie, münchen/wien 1977, 134-144: 143.