Ein Blick auf Assad Tabatabai

Louh, (gespr. Loh) bedeutet im Arabischen und Persischen „Tafel, Schreibtafel“. Assad Tabatabai bezeichnet damit die Grundstruktur, die seine Malerei der letzten Jahre bestimmt: das von unten in den Bildraum ragende Rechteck. Diese Form hat eine lange Vorgeschichte. Ein Interesse an der Gestaltung der Vertikalen läßt sich in allen Phasen von Assads Werkgeschichte feststellen, auch in den frühen Arbeiten. Louh-artiges taucht erstmals in Landschaftsbildern aus dem Jahr 1979/1980 auf. Da erscheinen rätselhafte Rechtecke im Vordergrund von weiten, dunklen Landschaften, fast wie der mysteriöse Quader in Kubricks „2001 Odysee im Weltraum“, aber – Assads Naturell entsprechend – in aller Rätselhaftigkeit doch ganz irdisch. Selbst Tafeln mit Botschaften von oben müssen aus Erde gemacht sein, sagte er mir einmal im Gespräch. Später lösen sich die Landschaften seiner Gemälde in einen einheitlichen Hintergrund auf. Während der 90er Jahre kristallisiert sich schließlich die Louh-Form ganz heraus und wird zum großen Thema seiner Arbeiten.
Es waren bestimmte künstlerische Fragestellungen, die ihn an dieser Form interessierten. Zunächst die Faszination und Herausforderung der Reduktion. Wohin komme ich, wenn ich den Bildaufbau so weit wie möglich vereinfache? Kann ich mich in der Zone, wo das Bild fast schon aufhört Bild zu sein, malerisch bewegen? Er wollte, in musikalischer Sprache gesprochen, kein Konzert mehr komponieren, sondern nur mehr ein-zwei Takte, in denen aber ein ganzes Stück äußerst verdichtet enthalten ist. Ein weiteres malerisches Problem, das zur Findung von Louh beitrug, war das Verhältnis von bearbeiteter, geformter Fläche und leerem Umraum, von Gestalt und Hintergrund. Assads Ziel war beides in eine Proportion zu bringen, die nicht langweilig ist, also innere Spannung aufweist und trotzdem von Ruhe und Ausgewogenheit geprägt ist.
Was er schon mitbrachte und was bei ihm ein so selbstverständlicher Bestandteil aller Bilder ist, dass er selber nur selten darauf zu sprechen kommt, ist der souveräne Umgang mit der Farbe, der auf soliden Kenntnissen beruht, die er sich während seiner Lehrjahre an der Wiener Akademie aneignete. Besonders die Vielschichtigkeit verdient es, an Assads Malweise hervorgehoben zu werden. Man sieht dem fertigen Werk an, dass es aus vielen Schichten geworden ist; Schichten, die Schönheit hervorbringen, indem sie interagieren. Die Entstehungsgeschichte bleibt durch die zuletzt erreichte Oberfläche hindurch erahnbar. Das gibt dem Bild Tiefe, Subtilität, man spürt die Sensibiltät des Malers, der niemals bloß eine Fläche anstreicht, sondern immer Farb-Nuancen zu vielsagenden, mehrdimensionalen Akkorden vereint. Vergleicht man die Louh-Bilder miteinander, fällt außerdem auf, wie vielfältig ihre Farbgestaltung ist. Assads Palette hat eine erstaunliche Bandbreite, außer Schwarz kommen praktisch alle Farben in unterschiedlichen Abwandlungen vor. Diese Vielfalt gibt der Grundform einen unabsehbaren Reichtum an Variationen und macht jedes Bild zu etwas ganz Eigenem.
Trotz der Einfachheit und Strenge der Louh-Form hat keine Geometrisierung stattgefunden. Das lebendige Wachstum, das sichtbar in ihr steckt, rückt diese Kunst näher an die Natur als an die Geometrie. Assad ist kein Konzept-Künstler, der seine Idee mit Vorliebe in einem unpersönlichen, kühlen Medium versinnlicht, sondern ein durch die Diziplin der Reduktion gegangener Expressionist, der beständig an der Verfeinerung seiner persönlichen Handschrift arbeitet. Er wollte bei aller Reduktion kein hermetisch von Welt und Person abgeschlossenes Werk, sondern Bilder, die, wie er sagt, eine Tür nach draußen haben, auf das Leben hinweisen, aus dem und für das sie geschaffen wurden. Zum Welt- und Lebensbezug seiner Kunst ein Deutungsvorschlag:
Es gibt Künstler, die in ihre Bilder alles hineinpacken, was an ihnen und ihrer Welt belastend, kaputt, chaotisch, zerstörerisch ist. Seit der Romantik gehört das Zur-Sprache-Bringen des Mangels an Sinn zur Rhetorik moderner Kunst. Gerade in einer Zeit, in der alles Schöne schneller denn je zur Warenästhetik funktionalisiert wird, ist diese Richtung von bleibender Relevanz. Sie wird durch die ironischen Spiele der Postmoderne ebenso wenig entkräftet, wie die unspektakuläre Arbeit jener Künstler, denen daran liegt, die reinen Kräfte heraufzubeschwören, die uns im schmerzhaften Durcheinander unseres Lebens immer noch atmen lassen. Assads Louh-Bilder sind von dieser Art. Sie entstanden unter schwierigen Umständen, denn er musste sich in den vergangenen Jahren seine künstlerische Arbeit mühsam gegenüber beruflichen und familiären Verpflichtungen abringen. In so einer Situation gilt es den Raum für schöpferische Arbeit immer wieder neu aufzubauen, oft unter großen inneren Spannungen. Ich habe den Eindruck, dass Assad diesen Freiraum für das Schaffen seiner Bilder mit und in diesen Bildern selbst entstehen läßt. Er ruft die Verfassung, die er zum Malen nötig hat, durch das Louh herbei. Sein Werk der letzten Jahre ist somit zugleich die Beschwörung der Bedingungen, unter denen es erst möglich wird.
Wer aus dem Alltag kommend künstlerisch arbeiten will, muss sich zunächst einmal sammeln. Die Louh-Struktur malend entstehen lassen bzw. sie in der rezipierenden Wahrnehmung neu aufbauen, ist, als würde sich jemand zur Meditation hinsetzen. Das Rechteck, das unwillkürlich das Körpergefühl anspricht und einen ihm entsprechenden Zustand hervorruft, ruht zentriert in der Mitte des Bildes, ausbalanciert und in einem Verhältnis von ruhiger Wachheits-Spannung zur Umgebung, klar von ihr abgegrenzt, selbstständig. Die Umgebung selbst zeigt sich als ein heller Raum, in dem nichts Behinderndes oder Ablenkendes aufscheint. Gegenstandslose Offenheit. Das nach unten Unabgeschlossene des Louh bedeutet Geerdetheit. Es schwebt nicht im Bildraum, sondern ist verbunden mit der tragenden Tiefe, die nicht selbst ins Bild kommt, sondern verborgen bleibt.
Louh wird mit all dem zu einem Ort der Sammlung, eine stabile Struktur, die nicht einsperrt, sondern Geist und Leib konzentriert, ihre Kräfte bündelt. Wie bei jemand, der sich immer wieder in dieselbe Meditationshaltung begibt, wird diese Einfachheit und Wiederholung ein Quell schöpferischer Erneuerung. Farbinspirationen können aus der Tiefe vor dem staunenden Auge erscheinen, so wie beim guten Meditieren unterschiedliche Stimmungen, Gefühle, Gedanken und Einsichten hochkommen, ohne doch den Sitzenden aus der Mitte zu werfen. Sie können sich entfalten und werden durch die Sammlung gereinigt und zur Ruhe gebracht.
Ist die Louh-Struktur die Endlos-Schleife eines Exerzitiums, das für den Künstler zur Lebensübung geworden ist? Ich glaube nicht. Assads jüngste Arbeiten deuten an, wie es in andere Richtungen weiter gehen könnte. In einigen Bildern ist das Louh in Bewegung geraten und Möglichkeiten des Übergangs in neue Formen ziehen herauf. Eine größere Durchlässigkeit der strengen Rechteck-Form zur Umwelt deutet sich an und auch die Binnenstruktur des Louh wird differenzierter. Auch andere Formen treten ihm zur Seite und in der Serie „Ortschaften des Erwachens“ wird das Louh von einem Bildbestandteil zum Bild selbst, wobei das Verhältnis von gestaltetem Raum und Hintergrund transponiert wiederkehrt als Verhältnis Bild und Wand. Damit ergeben sich ganz neue Chancen künstlerischer Arbeit. Das Louh ist also vermutlich eine Station vor dem Aufbruch in neue Gegenden und wir dürfen gespannt sein, wohin seine Arbeit den Künstler in Zukunft führen wird.

September 2003